Liebe Gemeindemitglieder,
im Evangelium dieser Woche stellt uns Jesus zwei Menschen vor, die auf extreme, ja geradezu ironische Weise, „Typen“ verkörpern, Charakterköpfe, die man damals im Tempel beobachten konnte, die aber ebenso gut in unseren Gemeinden zu finden sein könnten:
Zunächst wird einer beschrieben, ein Pharisäer, der Gott dafür lobt, dass er besser ist als die anderen und dass er deren schlechte Eigenschaften nicht teilt. Er zählt auf, wie schlecht die anderen sind und wie gut und religiös er selber ist. Dann ein anderer, ein Zöllner, der um Vergebung bittet und der ganz hinten im Tempel stehen bleibt – sich also offenbar selbst nicht zur engen Gottesdienstgemeinde oder zur häufigen Tempelgänger-Gruppe zählt.
Jesus sagt: Die Rechtfertigung, das Zurechtrücken des eigenen Lebens vor Gott – die hat der erlangt, der um Vergebung gebeten hat.
Diese Figuren kommen selten so extrem in der Realität vor. Meistens haben wir es bei den Charakteren, die wir in unserer Umgebung entdecken können, nicht mit Menschen zu tun, die schwarz oder weiß der einen oder anderen Figur zugeordnet werden, sondern es sind verschiedenste Grautöne zwischen diesen Extrempolen zu beobachten.
Wahrscheinlich finden wir auch in uns selbst Anteile des Pharisäers oder des Zöllners, oder aller Graustufen dazwischen. Vielleicht hat sich im Laufe unseres Lebens etwas entwickelt: Wir würden uns nicht mehr dem gleichen Charakterkopf nahe fühlen, wie noch vor einigen Jahren, sondern schauen mit den Jahren anders auf die anderen und uns selbst.
Durch die kleine, grotesk überzeichnete Geschichte hindurch bin ich in dieser Woche besonders an der Botschaft Jesu hängen geblieben, dass die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit eigenen Schwächen wichtig und nötig ist. In unserem Zeitalter erschrecken wir vor der völligen Selbst-Erniedrigung des Zöllners. Wir heißen es nicht mehr gut, wenn jemand nur die schlechten Seiten seiner selbst in den Vordergrund stellt – und dringen auch immer mehr vor zu der Erkenntnis, dass Gott unsere ganze Person, mit allen Erfolgen und Misserfolgen, sieht und wertschätzt.
Weil ich vor Gott nie verloren gehen kann und weil alle meine Anteile von ihm liebevoll angeschaut werden, kann ich mit weniger Angst auf die schwierigen Seiten meines Lebens und meines Verhaltens schauen. Auch wenn ich mich klein, runtergemacht und in die Ecke gedrängt fühle, kann ich mich unter seinen Blick stellen und mich zurecht-rücken lassen.
Wenn das im Alltag mal immer so einfach wäre…..
Aber die Erfahrung unseres Lebens und die Ermutigung Jesu kann sein, dass die Mühe der Auseinandersetzung mit sich selbst lohnt und dass die Mühe des menschlichen Miteinanders lohnt. Dass wir zu tragfähigen Beziehungen in der Lage sind, wenn wir nicht aufhören umeinander zu ringen und am anderen mehr das Gute als das Schlechte zu suchen.
Maria Schwarz, Pastoralreferentin